Ich gehe Gott suchen! Und ehe ich mich versehe, schwebe ich schon auf bauschigen Wolken in einem sanft umhüllten Schimmer unter dem Kirchgewölbe. Wohlriechende Stigmata erscheinen an meinen Händen und Füßen. Sie tun zwar weh, aber nicht wirklich schlimm – eher der Form halber.
Aus meinem Hinterteil strömt ein süßes, seliges Licht, das dumme Atheisten unversehens in Psalmen ausbrechen lässt, und mein Wort bringt Päpste zum Schaudern vor ehrfürchtiger Verzückung.
Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen sich ein Leben lang an solchen pubertären Fantasien festklammern – sei es vielleicht in etwas subtilerer Form. Anders lässt sich der Erfolg mancher spiritueller Botschaften, innerhalb wie außerhalb der Kirche, kaum erklären: Botschaften, die auf seltsame Erscheinungen und Phänomene fixiert sind.
In der esoterischen Szene ist das „Manifestieren“ gerade wieder im Trend. Das war schon in meiner Jugend modern – damals ausgelöst durch das alberne Buch The Secret. Es verkündete, man könne alles bekommen, was das Herz begehre, indem man sich einfach vorstelle, es schon zu besitzen. Wenn man nur positiv genug denke, würde das Universum – oder was auch immer – einem alles in den Schoß legen: Liebe, Lebensglück, Ferraris, Villen mit Swimmingpool, einen Waschbrettbauch…
Das Phänomen verschwand dann auch wieder – es war so sterbensdämlich, dass ich ehrlich gesagt nicht damit gerechnet hatte, es je wiederzusehen. Und doch: Kuckuck, da ist es wieder! Die Fähigkeit des Menschen zur Selbsttäuschung bleibt erstaunlich.
Doch auch innerhalb der Kirche kann einiges schiefgehen. Sonderbare Marienerscheinungen drohen in endlosen Tiraden mit dem Weltuntergang. Sie verlangen bizarrste Andachtsformen – sonst holen sie dich! Sie flüstern ihren Seherinnen geheime Botschaften ins Ohr und hinterlassen unauslöschliche Zeichen – meist unsichtbar, versteht sich, denn so gehört sich das.
Ihr Publikum besteht in der Regel aus frommen Damen gesetzteren Alters, aber manchmal gelingt es ihnen sogar, Teile des Klerus für sich zu gewinnen.
So ist in den Niederlanden die Amsterdamer Erscheinung der „Frau aller Völker“ an Ida Peerdeman berüchtigt. Sie brillierte mit apokalyptischen Visionen, deren sich selbst Hieronymus Bosch nicht geschämt hätte. Und sie ermutigte den niederländischen General Van Heutsz, Indonesien mit Gewalt für die Niederlande zu behalten.
Das klingt verrückt – und ist es auch. Dennoch erkannte der damalige Bischof von Haarlem im Jahr 2002 die Übernatürlichkeit dieser Erscheinung an. Erst vor wenigen Jahren hat die Glaubenskongregation das Ganze mit hochrotem Kopf wieder zurückgenommen.
Wenn das Problem auf dieser Ebene bliebe, könnten wir vielleicht noch damit leben. Hin und wieder ein paar fromme Omas beruhigen und hie und da einen Eimer Weihwasser ausschütten – das wäre machbar. Doch leider gibt es diese Tendenzen auch subtiler – und durchaus auch unter Mönchen.
Denn wenn man Tag für Tag sein Leben im Stundengebet und in stiller Meditation hingibt – darf man dann nicht auch erwarten, dass dabei etwas herauskommt? Dass man mit der Zeit eine gelassene, weise Persönlichkeit wird? Jemand, der anderen mit klugen Ratschlägen zur Seite steht und gewissermaßen Achtung genießt? Selbst wenn man sich solche Gedanken nicht laut eingesteht – sie schlagen doch nur zu leicht Wurzeln in den unbemerkt gebliebenen, staubigen Ecken der Seele.
Am deutlichsten merkt man das, wenn ein Mitbruder ernster genommen wird als man selbst – wenn er mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommt. Wenn dann das grünäugige Ungeheuer in einem aufsteigt, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass im Seelenkeller noch aufgeräumt werden muss.
Das Ärgerliche ist: Einerseits verlangt dieses Leben eine enorme Treue. Jeden Tag: Matutin, Laudes, Vesper, und so weiter und so fort. Man weiß jetzt schon, was man in zehn Jahren um viertel nach sechs tun wird – sofern man dann noch lebt. Auch hat man nie die Herrschaft über seine eigene Zeit, über Essen und Trinken, Kommen und Gehen.
Und zugleich wird erwartet, dass man so lebt, als ob man keinerlei Fortschritt davon erwarte – auch bei größter Anstrengung. Damit ist eigentlich jeder Mönch per definitionem ein Narr um Christi willen. Man schuftet sich zu Tode, ohne auch nur persönliche Entwicklung davon erwarten zu dürfen.
Denn sobald man feststellt, dass man gewachsen ist, ist man schon gefallen und muss von vorne beginnen. Nicht einmal die gewöhnliche Lebensweisheit, die sich auch einfache Laien ab fünfzig gern selbst zusprechen, wird einem zuteil. Denn selbst die gilt für Mönche als Eitelkeit.
Das alles soll natürlich nicht entmutigen. Die Liebe selbst ist mehr als genug Lohn. Aber vielleicht hilft es, mit beiden Füßen auf dem Boden zu bleiben, wenn man über die Gestaltung seines Wachens und Betens, seines Essens und Fastens, seines Lesens und Verzichten-Müssens nachdenkt.
Ein nüchternes Leben, um nicht von Dingen und kleinen Vergnügungen abhängig zu werden, ist wichtig und gesund. Aber ein spirituelles Hochleistungssportlerdasein ist immer zum Scheitern verurteilt.
Junge Mönche in einem Kloster stürzen sich oft mit Feuereifer in Askese und lange Gebete. Aber sie können es nicht, denn Vater Abt und der Novizenmeister schieben dem einen Riegel vor. Einsiedler hingegen können sich in aller Freiheit verrennen.
Oh, was für eine schöne Litanei ist das! Die bete ich künftig nach jeder Hore! Und die fünfhundert von Optina – wie herrlich klar wird man davon! Dreihundert Jesusgebete, hundert Mal „Heilige Gottesgebärerin, rette mich!“, hundert Mal „Alle Heiligen Gottes, bittet für mich!“ Und dann noch der Akathistos zum heiligen Wolbodo von Ottokaufbeurensteinerfehn – zum Heulen rührend.
Und ehe man sich versieht, wird man erdrückt von einem Berg wundervoller Gebete von der Größe eines Sattelschleppers. Wenn man dann nicht alles jeden Tag fromm und vollständig verrichtet, schämt man sich vor Gott. Man bildet sich ein, dass Er den Kopf schüttelt, einen verachtet, einen nicht mehr liebt.
Noch schlimmer ist es, wenn man es tatsächlich schafft, alles bis zum letzten Punkt und Komma abzuleisten. Dann ist die Gefahr, dem Gestank des Eigendünkels zu entkommen, äußerst gering.
Abba Moses erzählte dem heiligen Cassianus, dass er in seiner Jugend in der Gegend lebte, wo auch der heilige Antonius der Große wohnte. Dort hatte sich einst eine große Gruppe Wüstenväter versammelt, um eine Art Synode über heilsame Praktiken auf dem Weg zu Gott abzuhalten. Sie tagten tagelang, bis sie sich einig waren: Sie entwarfen ein exquisites Programm für ein vollkommenes Mönchsleben.
Da räusperte sich der große Antonius und sprach:
„Alles, was ihr genannt habt, ist gewiss nützlich, ja vielleicht notwendig für jene, die nach Gott dürsten und sich sehnen, ihn zu finden. Doch sehen wir oft, dass gerade diejenigen, die sich am strengsten ans Fasten und Wachen halten, die in wundersamer Einsamkeit leben, die auf jeglichen Besitz verzichten und sich nicht einmal Brot für einen Tag oder eine Münze aufheben, die auch noch die Gastfreundschaft mit größtem Eifer pflegen – dass gerade diese plötzlich stürzen.
Es gelingt ihnen nicht, das Werk, das sie so gut begonnen haben, auch zu einem guten Ende zu bringen, und sie stehen beschämt da. Übertreibung jeglicher Art ist immer der Tod im Topf. Diese Mönche litten an einem Mangel an Unterscheidung.
Unterscheidung bewahrt den Mönch auf der rechten Seite davor, dass seine guten Eigenschaften ihn aufblähen. Vor einem übertriebenen Eifer, der jedes Maß sprengt und von albernem Stolz befeuert wird. Auf der linken Seite bewahrt die Mäßigung davor, dass der Mönch seinen fleischlichen Neigungen nachgibt, dem Hang zur Bequemlichkeit. Der verkleidet sich gern als Fürsorge für den Körper, macht aber in Wahrheit weichlich und geistig lau.“
Wenn du also Lust verspürst, deine tägliche Regel um eine gewaltige Liste von Gebeten zu erweitern… Wenn du denkst, du könntest ruhig noch früher aufstehen und noch weniger essen… Wenn du meinst, ein Stück Stacheldraht um den Knöchel oder Kieselsteine in den Schuhen wären eine gute Idee, um Entsagung zu lernen…
…dann könntest du auch einfach einmal versuchen, all die einfachen Dinge zu tun, die ohnehin dran sind – und bei denen du immer wieder scheiterst: Geduld haben, wenn dir jemand auf die Nerven geht. Dich sauber halten und deine Klause wischen, den Rasen mähen und die Hecken schneiden, die Handtücher falten und die Kerzenreste auskratzen. Nicht schludern beim Stundengebet. Freundlich sein zu Menschen, die dich langweilen.





