Was, wenn gerade dein Beten deinem Glauben schadet?
Was, wenn Gott im Gebet nicht nur formloser, sondern auch wesenloser wird? Was, wenn du tief in dir eigentlich gar nicht mehr glaubst, dass es überhaupt so etwas wie Gott gibt?
Stell dir vor: Du bist Priester oder Ordensmensch.
Du hast dein ganzes Leben der Suche nach Gott geweiht.
Als junger Mensch wurdest du von der Sehnsucht nach Ihm ergriffen.
Du meintest, berufen zu sein, und hast – so gut es ging – all deine Kräfte dem Dienst Gottes geschenkt.
Ein Leben lang hast du dich mit den Kapriolen der Kirche und dem spöttischen Staunen deiner ungläubigen Mitmenschen abgefunden.
Du hast endlose Litaneien in seltsamen Kutten abgespult, mehr Psalmen als Kartoffeln gegessen und Maria mit deinem Rosenkranz fast aus dem Himmel gezerrt.
Doch du fühlst es nicht mehr – und schlimmer noch:
Du glaubst es auch nicht mehr wirklich.
Inzwischen bist du längst im mittleren Alter, und du kannst nicht einfach von vorn beginnen.
Du hast dein Leben einer Illusion geopfert. Oder?
Was ich hier beschreibe, ist eine der tiefsten Ängste gottgeweihter Menschen: Dass sie am Ende ihres Lebens den Glauben verlieren.
Die heilige Theresia wurde schon in jungen Jahren mit dieser Angst konfrontiert – sie lag ja schon mit vierundzwanzig im Sterben.
In ihrem Tagebuch schrieb sie:
“Plötzlich wird der Nebel, der mich umgibt, dichter.
Er dringt in meine Seele ein und hüllt sie so ein,
dass es mir nicht mehr gelingt, das schöne Bild meiner Heimat wachzurufen. Alles ist verschwunden!
Wenn mein Herz, müde von der Dunkelheit ringsum,
ein wenig ausruhen möchte und an jenes leuchtende Land denken will,
das ich ersehne, dann wird meine Qual nur noch größer.
Dann scheint es, als liehe die Finsternis sich die Stimme der Sünder
und spräche voller Hohn zu mir:
‚Du träumst vom Licht, von einer Heimat voller süßer Düfte.
Du träumst davon, den Schöpfer all dieser Wunder ewig zu besitzen.
Du glaubst, befreit zu werden von diesem Nebel, der dich umhüllt.
Geh nur! Geh weiter!
Freue dich auf den Tod, der dir nicht geben wird, was du erhoffst,
sondern eine noch dunklere Nacht: die Nacht des Nichts!‘”
Und etwas später:
“Mutter, vielleicht meinen Sie, ich übertreibe meine Prüfung.
Wenn Sie sich an den Versen orientieren, die ich dieses Jahr schrieb,
müssten Sie denken, meine Seele sei voll von Tröstungen
und der Schleier des Glaubens fast zerrissen.
Doch für mich ist er kein Schleier mehr –
sondern eine Mauer, die bis in den Himmel ragt
und das sternbedeckte Firmament verhüllt.”
Theresia konnte schließlich doch in Frieden sterben – aber nur, weil sie sich radikal klein gemacht hat.
Ein Leben als „Berufsgläubige“ erzeugt manchmal fast den Eindruck,
dass die Realität des Himmels und das Dasein Gottes
vom eigenen, sturen Festhalten an ihrer Wirklichkeit abhängen.
Dass sie aufhören zu existieren, wenn man seinen Zweifel zulässt.
Dass sie verhungern, wenn man sie nicht nährt mit heroischem Vertrauen.
Dass sie verblassen, wenn man sie nicht nährt mit der Glut der eigenen Aufmerksamkeit.
Anstatt in versteinerten Gottesbildern zu verharren,
hast du nun deine eigene Geisteskraft zu Gott gemacht.
Deine spirituelle Spannkraft zum Maß aller Dinge erhoben.
Du bist zu einem Atlas geworden –
dem Riesen, der das Universum auf seinen Schultern trägt.
Diese ungewollte Art von Götzendienst ist gefährlicher als der erste.
Gott durchschaut zwar Herz und Nieren und weiß, dass du dich nicht absichtlich an seine Stelle gesetzt hast.
Aber seinen Kelch kannst du nicht trinken – also musst du dich daran verschlucken. Sein Kreuz kannst du nicht tragen – also musst du darunter zusammenbrechen. Um dieses bedrückende Missverständnis zu überwinden, muss man zunächst darin ersticken.
Theresia erstickte buchstäblich – sie lag im Sterben an der Tuberkulose.
Und sie erstickte geistlich in jener raffinierten Falle, die das Leben für Priester und Ordensleute bereithält.
Sie, die ihr ganzes Klosterleben darauf verwendet hatte, klein zu werden,
mühte sich zwischen verschwitzten Laken fiebrig ab, den guten Gott durch bloßen Willen aufrechtzuerhalten. Bis sie Ihn schließlich mit größter Erleichterung loslassen konnte.
„Ja“, sagte sie, „ich glaube wirklich, dass ich letztlich nie etwas anderes gesucht habe als die Wahrheit.“
Sie hatte gesucht – und oft nicht gefunden. Sie hatte sich vieles eingebildet und vieles viel zu kompliziert gemacht. Wie ein eigensinniges kleines Mädchen hatte sie viel zu viel selbst tun wollen.
Aber sie war all die Zeit aufrichtig gewesen. Sie hatte nie absichtlich versucht, sich selbst, ihre Mitmenschen oder gar Gott zu täuschen.
Sie hatte nie etwas anderes gesucht als die Wahrheit. Und was Gott betrifft – das Absolute, die Wahrheit, die Güte, die Schönheit –,
da ist Suchen heimlich auch schon Finden.
Darum konnte Theresia am Ende auch sagen: „Ja, ich habe die Demut des Herzens verstanden. Ich glaube, ich bin demütig.“
Wenn dich diese Beklemmung plagt, ist es vielleicht gar kein schlechter Weg, einfach einmal loszulassen, was du krampfhaft zu retten versuchst.
Nicht nach dem zu greifen, was deiner Meinung nach da sein sollte –
sondern einfach da sein zu lassen, was da ist. Manchmal ist gerade das Eingeständnis, dass Gott vielleicht gar nicht existiert – und dass das übrigens nicht von dir abhängt – die beste Chance, Ihm neu zu begegnen.
Denn wir können es nicht oft genug wiederholen:
Gott ist kein kleines Männlein auf dem Mond, das auf einem Dachboden aus Duftwatte und Lichtstrahlen wohnt. Er ist der Grund allen Seins, die Quelle der Wirklichkeit. Raum und Zeit gehen aus seiner Hand hervor,
und in Ihm leben, bewegen und sind wir. Ja, Er ist eine Person. Er lebt.
Wenn du Ihn rufst, hört Er dich. Wenn du zu Ihm aufblickst, schaut Er dich an. Er kennt dich und erkennt dich. Er will, dass du bist und dass du lebst.
Er liebt dich.
Aber nicht wie dein Vater, deine Mutter, deine Brüder oder Schwestern.
Er ist keine Person in dem Sinn, wie wir Personen um uns herum erleben:
Menschen mit begrenztem Bewusstsein, mit Charakterzügen, Stärken und Schwächen, mit einer Lebensgeschichte von vielleicht siebzig Jahren, oder achtzig, wenn sie stark sind.
Und Er steht auch nicht außerhalb von uns, so als müsste Er raten, was uns bewegt, oder uns fragen, was uns umtreibt. Er ist uns näher, als wir uns selbst nahe sind, würde Augustinus sagen.
Ich selbst halte den Rat von Abba Isaak aus der ägyptischen Wüste des vierten Jahrhunderts für den weisesten: Weiterbeten, immer wieder zu Gott zurückkehren – ob es Ihn nun gibt oder nicht. Denn das wird Er schon selbst entscheiden.
Und vielleicht gelingt es dir in diesem Zustand nicht, das lange durchzuhalten. Dann eben Stoßgebete! In diesem Fall ist vielleicht das Gebet jenes Vaters aus dem Matthäusevangelium ein gutes Gebet für dich:
Sein Sohn lag im Sterben, und Jesus fragte ihn, ob er glauben könne.
„Ich glaube – hilf meinem Unglauben!“ sagte er.





